Das Jenbe Realbook Vol. 1 & Vol. 2

        

Diese Notenbücher enthalten die vollständigen Transkriptionen der CDs:

»The Art of Jenbe Drumming: The Mali Tradition Vol. 1« bzw. »Vol. 2«

Inhalt Vol. 1: 1 Intro + Fula, 2 Madan, 3 Maraka, 4 Sogoninkun, 5 Sabaro, 6 Woloso, 7 Kòmò, 8 Kòfili, 9 Kirin, 10 Burun, 11 Maa Nyuman, 12 Jina I,  13 Jina II, 14 Jina III

Inhalt Vol. 2: 1 sanja 02:37, 2 sunun 03:10, 3 suku (+ farabaka) 04:17, 4 numun-dòn 02:47, 5 fura 02:34, 6 bòbò-fòli 01:03, 7 dansa 03:44, 8 bara 03:37, 9 sogolo 02:57, 10 kirin 03:15, 11 jina-fòli 04:29, 12 tansole 03:30, 13 nyagwan 03:23, 14 manjanin 04:22, 15 garanke-dòn 04:09, 16 sumalen 01:58, 17 niare bòn ka lajè 01:51, 18 degu-degu 01:59

Das »Jenbe Realbook« Vol. 2

Dieses Notenbuch enthält die vollständige Transkription der CD:
»The Art of Jenbe Drumming: The Mali Tradition Vol. 2«

Die Musiker
Jenbe: Jeli Madi Kuyate (Stücke 1 – 3)
Drissa Kone (Stücke 4 – 15)
Jaraba Jakite (Stücke 15 – 18)
Dunun: Madu Jakite (alle Stücke)

Die Aufnahmen

Aufführungen im Duo – eine Jenbe, eine Dunun – prägten die Bamakoer Festmusik in den 1960er und 70er Jahren und bis in die 80er Jahre hinein. Die Studio-Aufnahmen zur CD entstanden zwischen 1995 und 2006. Heute wird meist in größeren Ensembles gespielt. Der Bamakoer Stil verändert sich unter anderem unter dem Einfluss der Stile aus Conakry (Guinea), Abidjan (Elfenbeinküste) und der internationalen Djembe-Szene im Westen.
Die Aufnahmen stellen einen Versuch dar, die ästhetischen Ideale des klassischen Bamakoer Duett-Stils zu repräsentieren. In der Duo-Besetzung hat der Jenbe-Spieler große Verantwortung zu tragen: Ununterbrochen muss er Groove und Solistik unter einen Hut bringen. Trommlerisches Feuerwerk – hitzig-ornamentale Improvisation – ist dabei nur die halbe Miete. Die Trommelrhythmen mit ihren jeweils ganz eigenen Charakteren und Gestalten werden im klassischen Bamakoer Stil in einer Art und Weise artikuliert, die von Konzentration auf das Wesentliche gekennzeichnet ist. Das sind die Basispatterns, Feelings und Phrasierungen, die jeden Rhythmus auszeichnen. Eine Spielweise, die das verwirklicht, wird als »überlegt« oder »bedacht« bezeichnet; wörtlich sagt man »gesetzt« (auf Bamana: »basigilen«). Dieses Beharren auf dem Schlichten ist das Besondere, was den Bamakoer Stil auszeichnet.

Die Noten

Es ist im Bereich westafrikanischer Trommelmusik seit einigen Jahrzehnten üblich, keine Noten- und Pausenwerte (Dauern) anzugeben, sondern die Trommelschläge in Bezug zu einem graphischen Raster zu notieren. Dieses Raster soll die sog. Elementarpulsation andeuten, eine mentale Hintergrundpulsation von schnellen, gleichmäßig-linear verlaufenden Zeiteinheiten, die als kleinste metrische Einheit das Timing, die Wahrnehmung und die Ensemble-Synchronisation der Jenbe-Rhythmen prägen. So werden auch im vorliegenden Notenbuch alle Rhythmen in Bezug auf ein metrisches Raster von 12 bzw. 16 Pulsen notiert.
Die Anschlagarten bzw. Sounds der Trommeln werden mit folgenden Symbolen notiert:
Jenbe
S offener Jenbe Slap
S geschlossener bzw. gedämpfter Jenbe Slap
T offener Jenbe Tone
T geschlossener Jenbe Tone
B Jenbe Bass
. Jenbe Füllschlag
Dunun
X geschlossener bzw. gedämpfter Dunun-Schlag
O offener Dunun-Schlag

Die grundlegenden Sounds der Jenbe (Bass, Tone, Slap) sind meist recht deutlich unterscheidbar. Es gibt jedoch auch Abstufungen und Übergänge. Beispielsweise wird im Bamakoer Stil oft mit relativ lockerer, teils auch gerundeter Hand gespielt. Das macht die Unterscheidung von offenen und geschlossenen Slaps oder von leisen Sounds und Füllschlägen manchmal schwer.

Die Arbeit mit den Noten

Die Arbeit mit diesem Notenbuch hilft bei der Annäherung an die Bamakoer Jenbe-Musik nur, wenn man dabei auf Hörerfahrungen Bezug nimmt. Nur durchs Hören entsteht eine klangliche Vorstellung davon, was beim Spielen der Noten umzusetzen ist. Man sollte also die zugehörige CD »The Art of Jenbe Drumming – The Mali Tradition Vol. 2« anhören so oft es irgend geht.
Beim Üben mit den Noten sollte man gleichzeitig mit der CD arbeiten. Eine gute Übung zur Verinnerlichung bzw. zum körperlichen Aufnehmen der Sounds, Feelings und Phrasierungen ist es, die CD abzuhören und synchron das Dunun- oder ein Jenbe-Begleit-Pattern dazu zu spielen. Man imitiert somit die Art der Ausbildung von Jenbe-Spielern in Mali, die keinen Unterricht erhalten, aber jahrelang für ihre Meister im Rahmen von Festmusikauftritten Begleitung spielen. Diese Art des Lernens ist nicht die schnellste, dafür umso tiefgründiger.

Ein praktischer Tipp: Ich benutze zum Abhören einen geschlossenen Studio/Monitor-Kopfhörer und darunter zusätzlich einen professionellen Gehörschutz. Der Kopfhörer dämpft den Klang meines Instruments etwas ab, was ein ausgewogenes Klangbild ergibt. Der Gehörschutz reduziert die hohe Gesamtbelastung, ohne den Sound groß zu verfälschen.
Je länger man mit der CD im Kopfhörer Begleitung gespielt hat, desto mehr lohnt es sich, gleichzeitig dem Solisten aufmerksam zuzuhören und die Noten mitzulesen. Schließlich wird es möglich sein, die Stücke – oder Auszüge daraus – vom Blatt zu spielen, entweder live (im Duo) oder synchron zur CD bzw. mit dem Dunun-Pattern als Loop (im Kopfhörer). Allerdings wird dies umso befriedigendere Ergebnisse bringen, je mehr man zuvor wie oben beschrieben durch Hören und Begleitung-Spielen in die Musik eingetaucht ist.

Selbstverständlich kann kein Notenbuch die Arbeit mit einem guten Lehrer aufwiegen. Und weder durch ein Notenbuch, noch durch ein guten Lehrer kommt man drum herum, zu üben und zu spielen, was das Zeug hält. Wenn man ein Instrument beherrschen oder auch nur handwerklich solide spielen will – sei es nun Geige oder Jenbe, Klavier, Posaune oder Dunun – dann bedarf es der langjährigen, intensiven Spielpraxis auf diesem Instrument. Der potentielle Beitrag eines Notenbuches dazu ist beschränkt: Es kann lediglich helfen, die Vorbilder etwas leichter zu erschließen.

 Probleme der Notation

Der bewusste Umgang mit den Noten im Fall der Jenbe-Musik besonders wichtig. Schließlich handelte es sich noch vor wenigen Jahrzehnten um rein spielpraktisch tradierte Musik. Während die europäische Notenschrift und Musiktheorie seit etwa tausend Jahren mit der abendländischen Musik wachsen (und umgekehrt), begannen Musikethnologen erst in den 1960er Jahren, westafrikanische Percussion-Musik aufzuschreiben und zu analysieren; die Notation von Jenbe-Musik begann erst vor etwa 30 Jahren. Da ist es kein Wunder, dass das Notationssystem der Jenbe-Musik noch nicht so gerecht wird, wie es vielleicht später einmal möglich sein wird. Ich möchte im Folgenden zwei gravierende Probleme ansprechen.

Uneindeutigkeiten im Beat-Bezug

Die meisten Jenbe-Rhythmen lassen einen eindeutigen Beat-Bezug erkennen, der zwar durch bestimmte Akzentstrukturen starke Gegengewichte erfahren kann, aber nie ganz aufgehoben wird. Einige Rhythmen scheinen jedoch zwei verschiedene Interpretationen zuzulassen. Dazu zählt etwa sanja (auch jeli-foli oder jeli-dòn genannt), ein Rhythmus der Jeli (Griots) aus dem Westen Malis. Die von mir heute bevorzugte Interpretation identifiziert den Beat mit jener Linie von Pulsen, auf die die meisten Schritte der Tänzerinnen, Händeklatschmuster von Sängerinnen und Zuschauern sowie Einsatzpunkte der Solo-Jenbe-Patterns fallen. Die meisten Europäer hören den Rhythmus jedoch andersherum; auch ich habe ihn früher anders gehört. Diese alternative Hörweise verlegt den Beat um 2 Pulse nach hinten; ihr Beat liegt also aus meiner heutigen Sicht im Off-Beat, ihre »1« auf meiner »1-und«. Beide Sichtweisen schlagen Ungewöhnliches vor: Meine heutige Interpretation lässt einige sehr weit verbreitete Begleit-Patterns in ungewöhnlichen Beat-Bezügen erscheinen. Die alternative Sicht lässt die Jenbe-Blocage nicht auf der »1« ein, sondern auf der »4-und« einsetzen:

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sanja Beat-Bezug 1

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kleine Dunun Begleitung (im Quartett)

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Jenbe Begleitung

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Basis-Dunun (im Duo)

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B

 

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Solo-Jenbe Basis-Pattern 1

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Solo-Jenbe Blocage

 

 

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sanja Beat-Bezug 2

 

 

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kleine Dunun Begleitung (im Quartett)

 

 

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Jenbe Begleitung

 

 

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X

 

 

 

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Basis-Dunun (im Duo)

 

 

 

 

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B

 

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B

 

Solo-Jenbe Basis-Pattern 1

TT

 

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T

 

 

 

 

 

Solo-Jenbe Blocage


Welche der beiden Auffassungen ist nun die richtige? Das ist womöglich die falsche Frage. Zwar sprechen meines Erachtens die besseren Argumente – Tanzschritte, Klatschmuster, Blocage – für die erste Auffassung. Aber auch die zweite Auffassung bietet Vorteile. Zum Beispiel spielen manche Jenbe-Solisten komplexe Improvisation mit Triolen, die aus Sicht meiner Notation (Beat-Bezug 1) im Off-Beat beginnen und abschließen. Aus Sicht der Interpretation 2 gehen diese improvisatorisch-expressiven Ausflüge jeweils mit dem Beat und sind somit leichter zu spielen. Beispiele finden sich etwa in den Zeilen 19, 22, 29 und 30 des Rhythmus bara, der genau wie sanja zwei verschiedene Beats zuzulassen scheint:


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bara Beat-Bezug 1

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Dunun Basis (2 Zeilen /Pulse)

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Jenbe Begleitung

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Jenbe Blocage

 

 

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Beat-Bezug 2

 

 

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Dunun Basis (2 Zeilen /Pulse)

 

 

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Jenbe Begleitung

 

 

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Basis-Dunun (im Dio)



Mir scheint, für Jenbe- und Dunun-Spieler in Mali ist das Pattern |TTS..SS.| in den Rhythmen sanja und bara eigentlich dasselbe wie |S..SS.TT| in dansa oder tansole. Für diese Musiker wird ein Pattern durch einen veränderten Beat-Bezug nicht zu einem anderen Pattern. Bestimmend ist für sie in erster Linie der Bezug zu den anderen Parts des Ensembles, vor allem zum Basis-Pattern der Dunun. Die Rhythmus-Wahrnehmung von Europäern ist dagegen meist stark von einem linearen Metrum geprägt. In unserer Wahrnehmung kann eine veränderte Beat-Relation gleichsam ein Umkippen eines Patterns verursachen, das dadurch eine völlig andere Gestalt annimmt.
Wollen wir der Jenbe-Musik und der entsprechenden Musikauffassung näherkommen, so sollten wir uns von der allzu starken Abhängigkeit von linearen Metren zu lösen versuchen. Alternative Beat-Bezüge zu einem Rhythmus müssen in diesem Sinne nicht unbedingt als konkurrierende, letztlich exklusive Ansprüche auf die Deutungshoheit verstanden werden. Sie können auch koexistieren. So ist es ist eine gute Übung, einen Rhythmus wie sanja und bara zweifach zu erlernen, d.h. dieselben Patterns aus zwei verschiedenen Beat-Bezügen heraus zu hören und zu spielen, um dann den Beat während des Spiels zu wechseln, gleichsam »umschalten« zu lernen. Allerdings ist dies kein Selbstzweck, sondern dient dazu, das Sich-Lösen vom Beat zu üben. Das Ziel ist, Gestalten in Bezug auf andere Gestalten zu spielen. Und die Gestalt etwa der oben erwähnten, weithin populären Jenbe-Begleitfigur ist weder die Notenform |TTS..SS.| wirklich gut getroffen, noch |S..SS.TT|. Sie ist am ehesten als |SS.TTS..| zu beschreiben: Mit den beiden Slaps setzen die Spieler in der Regel ein, mit den beiden Slaps setzen auch die Verbalisierungen des betreffenden Figur ein (»gapang kidipang« oder ähnlich). Die längere Pause von 2 Pulsen begrenzt die Gestalt, danach beginnt die nächste Einheit. Die beiden Tones sind also weder Anfang noch »Auftakt«, sie stehen im Zentrum der Gestalt. Auf dem Wege zu einer solcherart gestaltorienierten Auffassung ist eine einseitig ausgeprägte Beat-Orientierung eher hinderlich. Entscheidend ist das Einüben der Gestaltwahrnehmung, und das gelingt am Besten, wenn man die Solo-Jenbe allein mit der Dunun (im Duo oder im Kopfhörer) spielt. Man sollte beim Üben, außer bei neu erlernten Patterns, die noch gar nicht sitzen, auf Metronom und beat-orientierte Begleit-Parts möglichst verzichten.

Feeling

Die Elementarpulsation der meisten Jenbe-Rhythmen aus Mali besteht nicht aus einer Reihe von Pulsen einheitlich-gleichmäßigen Abstandes. Vielmehr ist die Unterteilung des Beats durch 3 bzw. 4 schnelle Pulse ungleichmäßig strukturiert: Die einzelnen Pulse sind ungleich lang. Die Längen und Kürzen bilden regelmäßige Muster, die sich nach jedem Beat wiederholen. Diese Muster bleiben im Verlauf der meisten Stücke stabil. Man kann sie als metrische Feelings bezeichnen. Jedes dieser Feelings erzeugt einen bestimmten Swing. Die Bamakoer Jenbe-Musik kennt mindestens vier solcher Feelings. Da ist zum Beispiel das ternäre Feeling vom Typ »kurz–mittel–lang–kurz–mittel–lang–…«, zu dem viele wichtige Rhythmen aus der Region Manden zählen, etwa suku und manjanin. Auch numun-dòn zählt dazu. Dann gibt es ein zweites ternäre Feeling mit dem Muster »lang–kurz–kurz–lang–kurz–kurz–…«. Dieses Feeling prägt unter anderem einige bekannte Rhythmen der Region Wasulun, zum Beispiel kirin, aber auch andere, etwa sumalen und bòbò-fòli. Etliche Rhythmen des Feelings »lang–kurz–kurz–…« enthalten eine Option auf einen zusätzlichen Puls, der den ersten, langen Puls nochmals in zwei kurze unterteilt. Dieser zusätzliche Puls tritt nicht nur punktuell auf, etwa als Ornament (Flam/Wirbel), sondern auch in Basis-Patterns, beispielsweise in Echauffements und Blocagen. Geht man von der Bewegung des Jenbe-Spielers aus, dann handelt es sich um eine vierschlägige Pulsation. Tatsächlich haben die Rhythmen des »lang–kurz–kurz–…« mehr Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten mit quartären Rhythmen als mit den ternären des »kurz–mittel–lang…«-Feelings.
Das binäre »lang–kurz–lang–kurz–…«-Feeling ist aus dem Jazz und anderen afro-amerikanischen Tanzmusik-Stilen bekannt. In der Bamakoer Jenbe-Musik erscheint es unter anderem in den Rhythmen sanja, fura und dansa. Ähnlich wie im Shuffle kann man manche dieser Rhythmen auch ternär auffassen, besonders in langsameren Tempi, oder zumindest ternäre Soli einstreuen, beispielsweise in bara. Schließlich gibt es noch das quartäre Feeling »kurz–mittel–lang–mittel–kurz–mittel–lang–mittel–…«, das unter anderem die Rhythmen jina, sunun und sogolo kennzeichnet.
Diese Feelings scheinen bei der Vermittlung und Aneignung der Jenbe-Musik in Europa und Amerika unter den Tisch zu fallen, obwohl Johannes Beer bereits 1991 in seinem Begleittext zu Famoudou Konatés CD »Rhythmen der Malinké« – einem Meilenstein der globalen Jenbe-Bewegung – nachdrücklich auf sie hinwies und erste Analysen und Interpretationen vorlegte. Hier besteht Nachholbedarf. Musiktheorie, Notation und Unterricht haben in unserer modernen Gesellschaft die Aufgabe, die wesentlichen Strukturen der zu vermittelnden Musikformen verstehen, spielen und tradieren zu helfen. Zu diesen grundlegenden Strukturen zählen in der Jenbe-Musik und auch in anderen Tanzmusikformen metrische Feelings. Theorie, Notation und Unterricht sollten sich der Musikform anpassen, nicht umgekehrt. Demnach müssen Musiktheorie, Notation und Unterricht alles daran setzen, diese Feelings zu verstehen und zu vermitteln. Bisher schaffen sie das nicht. Diese Schwäche betrifft auch die vorliegende Notation, in der die Feelings nicht berücksichtigt sind. Dieselbe Schwäche betrifft übrigens auch die Notation der ornamentalen Verdichtungen, also der Doppelschläge (Flams) und Wirbelkombinationen: Auch diese werden in der Notation vor ein lineares, gleichmäßiges Raster gesetzt, obwohl sie in der Realität ungleichmäßig, organisch gestaltete Patterns darstellen.
Die verwendete Rasternotation wirkt vergleichsweise plump und starr gegenüber den überaus organischen Gestalten und Feelings der Jenbe-Rhythmen. Dennoch hoffe ich, dass die Veröffentlichung nicht nur zwei Schritte seitwärts, sondern auch einen nach vorne darstellt. Nachholbedarf besteht schließlich nicht nur in den metrischen Grundlagen der Jenbe-Musik, also in ihrer Gestalt-Orientierung und den Feelings, sondern auch im Bereich der musikalischen Form. Und die Stärke dieses Notenbuchs liegt darin, ganze Stücke lesbar zu machen. Man kann beim Mitlesen ein Gefühl entwickeln für die Wechsel und Sequenzen der grundlegenden Patterns und improvisatorischen Einwürfe, mit denen Jenbe-Spieler spontan – ohne feste Arrangements – Perioden, Formteile und Stücke gestalten. Dabei wünsche ich allen Lesern und Leserinnen viel Freude und viel Erfolg.
Ich danke Thomas Bauer-Haberbosch, der die Noten in den Computer eingegeben hat, und dem Verleger Dieter Weberpals. Und ich ziehe aufs Neue den Hut vor Jeli Madi Kuyate, Drissa Kone, Jaraba Jakite, Madu Jakite und Yamadu Dunbia, diesen großartigen Musikern aus Bamako, die so gut spielen, dass die mühselige Arbeit des Transkribierens nicht nur lehrreich ist, sondern auch Spass macht.

Bayreuth, Sommer 2008 Rainer Polak


Der Autor

Dr. Rainer Polak studierte von 1989 bis 1996 an der Universität Bayreuth Ethnologie, Geschichte Afrikas und Sprachen Afrikas (einschließlich Bamana, die Verkehrssprache in Mali). Seit 1991 erlernt, praktiziert und erforscht er die Jenbe-Musik des südlichen Mali. Polak hat 1997/98 ein Jahr lang als professioneller Tanzfestmusiker in Bamako gearbeitet und ist dabei auf über hundert Hochzeiten, Geistbesessenheitsritualen und anderen Gelegenheiten aufgetreten. Er spielte meist für Jaraba Jakite, aber auch für Yamadu Dunbia, Jeli Madi Kuyate und Drissa Kone. Mit einer musikethnologischen Doktorarbeit über diese Erfahrung gewann er den wissenschaftlichen Nachwuchspreis – beste Dissertation 2003/2004 – der Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland (VAD). 2006-2007 leitete er ein musikwissenschaftliches Forschungsprojekt zum Timing von Jenbe-Rhythmen an der Universität Bayreuth. Polak gilt als einer der herausragenden Jenbe-Solisten in Deutschland. Als Dozent konzentriert er sich auf die musikalische Weiterbildung von Djembe-Lehrern.

The Art of Jenbe Drumming: The Mali Tradition Vol. 1

Die CD wurde 1995 in Bamako von Rainer Polak aufgenommen, 1996 von Bandaloop Records herausgebracht und 2006 von bibiafrica records neu aufgelegt.

Inhalt: 1 Intro + Fula, 2 Madan, 3 Maraka, 4 Sogoninkun, 5 Sabaro, 6 Woloso, 7 Kòmò, 8 Kòfili, 9 Kirin, 10 Burun, 11 Maa Nyuman, 12 Jina I,  13 Jina II, 14 Jina III

Das "Jenbe-Realbook" hat 115 Seiten, kostet 15,- Euro  und kann ab sofort hier bestellt werden: http://www.heartofmusic.de/ 

Musiker

Jenbe: Jaraba Jakite (Stücke 1 – 5), Yamadu Dunbia (Stücke 6 – 10), Jeli Madi Kuyate (Stücke 11 – 14), Dunun: Madu Jakite (alle Stücke)

Die Aufnahmen

Mit Jenbe-Musik wird traditionellerweise zum Tanz aufgespielt. Als Tanzfestmusik lässt sie sich allerdings schwer auf CD bannen – wo bliebe die Bewegung der Tänzerinnen, die Athmosphäre aus Farben, Gerüchen und Begeisterung? Wer verstünde die nur als ineinandergreifendes Geschehen nachvollziehbare Dynamik?

Die Aufnahmen entstanden „open-air“, auf einem Schulhof in Bamako, nicht aber auf einem Tanzfest, sondern als Studio-Session. Die Musiker spielten ohne vorheriges Proben, ohne feste Arrangements und ohne Erfahrung darin, wie ihre Tanzfestmusik ohne Tanzgeschehen und festlichen Rahmen zu spielen wäre. Es war für alle Musiker die erste Studioproduktion ihres Lebens. Spontan schufen sie im bezugsleeren Raum eine abstrakte Umsetzung traditioneller Festmusik, eine Art »Kunstmusik«. Die Originalaufnahmen wurden weder geschnitten noch mit Overdubs nachgebessert.

Das Ensemble

Die CD präsentiert Duette. Es spielen jeweils ein Jenbe-Meister und als Begleitung ein Basstrommler. Das Spiel im Duo prägte die Bamakoer Festmusik in den 60er, 70er und 80er Jahren. Heute wird in größeren Ensembles gespielt. Der Bamakoer Stil verändert sich unter anderem unter dem Einfluss der Stile aus Conakry (Guinea), Abidjan (Elfenbeinküste) und der internationalen Djembe-Szene im Westen. Die hier vorgelegten Aufnahmen sind aus heutiger Sicht bereits klassisch, sie präsentieren das ästhetische Ideal der malischen Jenbe-Musik, wie es sich in der Hauptstadt Bamako nach der Unabhängigkeit herausgebildet hat.

In der für Trommelensembles vergleichsweise dünnen Duo-Besetzung verstehen nur reife Musiker fesselnde Dichte aufzubauen. Die Balance zwischen Groove und Solistik zu halten, zwischen Basispatterns und spielerischer Improvisation, das ist eine große Herausforderung. Dies stellt für die hier vorgestellten Meistertrommler aus Bamako jedoch keine Bedrohung dar, denn durch jahrzehntelange Auftrittserfahrung ist ihr Spiel auch in kühnen Passagen von enger Kommunikation geleitet und traumhaft sicher. Es ist ihr Anspruch, rhythmisches Feuer in möglichster Klarheit und Ruhe zu entfachen.

Ein Vorteil der kleinen Besetzung für die Hörer der CD liegt in der Transparenz des Hörbildes. Man vermag nicht nur die musikalischen Grundstrukturen wahrzunehmen, sondern auch die hohe Kunst des Trommelspiels – das Sprechen der Trommel – bis in feinste Nuancen der Rhythmik und Klangfarben hinein.

Die Noten

Es ist im Bereich westafrikanischer Trommelmusik seit einigen Jahrzehnten üblich, keine Noten- und Pausenwerte (Dauern) anzugeben, sondern die Trommelschläge in Bezug zu einem graphischen Raster zu notieren. Dieses Raster deutet jeweils ein lineares Metrum an. So werden auch im vorliegenden Notenbuch alle Rhythmen in Bezug auf ein metrisches System von stets 4 Beats mit jeweils 3 bzw. 4 Pulsen pro Beat transkribiert.

Anhören und die Noten mitlesen???  www.myspace.com/bibiafricarecords

Notation kann immer nur eine ungenaue und unzureichende Annäherung an die klangliche Wirklichkeit der Musik sein. Die Arbeit mit diesem Notenbuch kann nur Sinn machen, wenn man dabei auf einen Höreindruck Bezug nehmen kann. Man sollte also unbedingt auch die CD kennen und mit ihr arbeiten: oft anhören, beim Hören die Noten mitlesen, beim Üben mit den Noten in die CD reinhören usw. Darüber hinaus ist selbstverständlich, dass kein Notenbuch die Arbeit mit einem guten Lehrer aufwiegen kann!

Einige der wichtigsten musikalischen Aspekte, die in der Notation nicht erfassbar sind, seien im Folgenden kurz angesprochen:

Die grundlegenden Sounds der Jenbe (Bass, Tone, Slap) sind meist recht deutlich unterscheidbar, feinere Abstufungen und Übergänge wurden jedoch nicht transkribiert. Beispielsweise werden Bass-Töne oft so sanft gespielt, dass man sie auch als Füllschläge (sog. Tips) interpretieren kann. Generell wurde auf die Notation leise und gedämpft klingender Füllschläge, die – wie übrigens auch Handsätze – sehr stark vom Personalstil abhängen, verzichtet. Ein zweites Beispiel: Slaps werden von Dunbia und besonders von Kuyate oft fast, aber nicht ganz geschlossen gespielt. Das macht eine eindeutige Unterscheidung von offenen und geschlossenen Slaps unmöglich. Je “dreckiger”, vielfältiger, uneindeutiger und letztlich lebendiger die Sounds, desto schwerer notierbar sind sie auch. Das ist eine schwerwiegendes Problem für die Transkription, sind doch gerade diese Eigenschaften typisch für die Duett-Spielweise in Bamako, und sehr wichtig fürs klangliche Ergebnis!

Noch gravierender ist dieses Problem der Notation von „unsauberen“ bzw. uneindeutigen Qualitäten bei der Phrasierung der rhythmischen Figuren und des metrischen Feelings. Die Wirbel der drei Jenbe-Solisten sind beispielsweise weder als Verdichtung der linearen Pulsation (double-time, Sextolen o.ä.) noch als Flam-Kombinationen exakt beschreibbar. Die engsten Stellen sind “breiter” als Flams, die Abstände der Schläge einer Wirbelkombination sind aber auch – anders als etwa Sextolen oder 32tel in einem 4/4 Rhythmus – meist sehr ungleichmäßig platziert: sie bilden vielmehr ganz eigene Gestalten auf der mikrorhythmischen Ebene. Die Transkription solcher Mikro-Patterns im Rahmen eines Rasters von Elementarpulsen ist zwangsläufig ungenau und zwingt zu einer gewissen Willkür.

Sogar die grundlegende Pulsation selbst wird oftmals nicht als eine Reihe von Schlägen einheitlich-gleichmäßigen Abstandes gespielt, wie es ein lineares Metrum und die zugehörige Rasternotation vermuten lassen würde. Vielmehr wird die Pulsation fast immer verbogen und verzogen, abwechselnd gesstaucht und gedehnt, und zwar gemäß ganz bestimmter Muster, die eben Swing erzeugen. Die Bamakoer Spielweise, und insbesondere das Duett-Spiel, leben geradezu von solchen metrischen Feelings oder Swings. Das kann soweit gehen, dass sogar die Unterscheidung von 4er- und 3er-Rhythmen sich aufzulösen beginnt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Rhythmus Burun. Das ostinate Dunun-Pattern ist eindeutig ternär, der Jenbe-Solist Yamadu Dunbia phrasiert jedoch die Jenbe-Patterns häufig auf eine Weise, die näher bei einem 4er-Feeling liegt (X.xxX.xx statt XxxXxx). Das ist kein absonderlich-eigenwilliger Personalstil, auch keine wild-expressive Improvisation. Der Rhythmus und seine Basis-Patterns sind einfach so komponiert, und zum Bamakoer Jenbe-Stil gehört diese Spielweise eben dazu. Ein anderes Beispiel ist der Rhythmus Jina 1, da klingen viele angebliche 4er Pattern sehr weit ins Ternäre hinein verzogen.

Mikrorhythmische Strukturen gehören wohl zu den am schwersten notierbaren Aspekten der Jenbe-Musik. Da sie aber für diese Musik wirklich grundlegend sind, stellt diese Schwierigkeit ein echtes Manko dar. Derzeit genieße ich das Privileg, mit großzügiger Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Thema des Timings von Jenbe-Rhythmen gezielte Forschungen anstellen zu dürfen. Ich möchte dabei auch die Theorie der Elementarpulsation und der zugehörigen Rasternotation hinterfragen. Ziel ist unter anderem, die Phrasierungen und Feelings der Jenbe-Musik genauer verstehen und eben auch notieren zu lernen.

Die vorliegenden Transkriptionen entstanden 1995/96. In den vergangenen 10 Jahren habe ich als Musiker und Lehrer immer wieder von ihrem Gebrauch profitieren können. Ich kann mich jedoch auch gut entsinnen, dass mir damals, bei der Arbeit des Transkribierens, immer wieder auch die Unzulänglichkeit der verwendeten Notationsweise aufgestossen ist. Aber gerade aus Fehlern, Schwächen, Unzulänglichkeiten lässt sich lernen. Aus der Arbeit an und mit diesem Notenbuch lassen sich zum Beispiel Schlüsse darauf ziehen, was noch fehlt, was noch zu tun ist im Bereich der Forschung und Lehre (und eben auch Notation) von Jenbe-Musik in Europa.

Nichtsdestoweniger wünsche ich in erster Linie viel Spass und viel Erfolg beim Lesen und Spielen der Noten!

Bayreuth, Frühling 2006 Rainer Polak

Der Autor

Dr. Rainer Polak studierte Ethnologie, Afrikanistik, die Bambara-Sprache und Geschichte Afrikas von 1989 bis1996 an der Uni Bayreuth und lernt und erforscht seit 1991 die Jenbe-Musik in Bamako (Mali). In Mali arbeitet er seit 15 Jahren mit denselben Trommlern zusammen, deren Spiel in diesem Buch und der entsprechenden CD vorgestellt werden. Polak hat 1997/98 ein Jahr lang als traditioneller Tanzfestmusiker in Bamako gearbeitet und ist dabei auf gut über hundert Hochzeiten, Geistbesessenheitsritualen und anderen Gelegenheiten aufgetreten. Er spielte meist für Jaraba Jakite, aber auch für Yamadu Dunbia, Jeli Madi Kuyate und Drissa Kone. Er schrieb eine musikethnologische Doktorarbeit über diese Erfahrung und gewann damit den wissenschaftlichen Nachwuchspreis der Vereinigung von Afrikanisten in Deutschland. Polak gilt als einer der herausragenden Jenbe-Solisten in Deutschland. Als Lehrer ist er auf Fortgeschrittenen- und Profi-Kurse für Micro-Timing und Jenbe Solo Performance spezialisiert.

Reviews:

Bei Weltmusik-Magazin erschien 11/07 folgende Besprechung:

www.welt-musik.net/?p=1190

(Sticks - Drummers Mag / Germany)

"It is very clear and clean. One djembe solo and one dunun on each track. The djembe minimalist's dream. This CD has a few tracks by one of the oldest djembe grandmasters alive today. I think he is in his 80's. [note: the recordings are from 1995; jenbe soloists Yamadu Dunbia (1917-2002) and Jaraba Jakite (1953-2005) have passed away in thre meanwhile] When Abdouli Diakite listened to this grandmaster playing he told me, "this man is a master". I have never heard Abdouli say that so clearly about anyone before. Listen closely to his solo style and phrasing. It is the closest you can find to the original sound because he was alive playing djembe before it became popular and was modified by the younger generation. This CD offers a special chance for serious students."

Jeremy Chevrier - www.rootsyrecords.com/HtmlFiles/DjembeCDRecommendations.htm